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Ein Praxisbeispiel

Mediation und Diversity

oder wie individuelle Verschiedenheit in Mediationsprozessen zu Lösungen verhilft

Mediation nimmt für sich in Anspruch, im Konfliktfalle zu vermitteln und mit den beteiligten Streitparteien gerechte und faire Lösungen für den Konflikt zu finden. Man folgt dabei einem Verständnis, wonach die Konfliktparteien selbst die Kompetenzen für ihre Lösungen mitbringen. Die Konfliktparteien sind die Expert*innen ihrer eigenen Konflikte, lautet das Credo in der Mediation.

Wie verhält es sich aber damit, wenn gesellschaftlich bedingte Ungleichheiten in die Konfliktgemengelage mit hinein spielen und diese ungleiche Chancen und Benachteiligungen für die Konfliktparteien nach sich ziehen?
Eine allgemein gültige Antwort wird es auf diese Fragen vermutlich nicht geben können, doch ein Umgehen mit solchen Ausgangsbedingungen bleibt gerade in Mediationen weiter sehr bedeutsam. So treten beispielsweise in Trennungsvereinbarungen zwischen sich scheidenden Paaren bei Versorgungs-, Zugewinnausgleichs- oder Unterhaltsfragen solche Fragestellungen schnell und gravierend auf.

Dieser Artikel möchte die Leserschaft zu Beginn mit einem Beispiel aus der Praxis in das Themenfeld Mediation und Diversity“ einführen, dann aufzeigen, wie Diversitykompetenzen die Qualität von Mediationen erhöhen kann und plädiert am Ende dafür, spezifische „Diversitytools“ für das Mediationsverfahren zu entwickeln und zu erproben.

Praxisbeispiel

(1. Anfrage) Medition in Diversity wurde von einer ambulanten Pflegeeinrichtung in Berlin angefragt, ob es dabei helfen könne, immer stärker aufkommenden Teamkonflikten entgegen zu wirken. Ein akuter Konflikt läge nicht vor, aber die gesamte Arbeitsatmosphäre verschlechtere sich zusehends. Die Anfrage erfolgte durch die Geschäftsführung der Pflegeeinrichtung.

(2. Konfliktanalyse) Das ambulante Pflegeteam setzte sich aus Frauen sieben verschiedener Herkunftsländern zusammen. Es kam zu offen „giftigen“ Anschuldigungen und Vorhaltungen unterschiedlichster Art,- insbesondere gegenüber der Pflegeleitung deutscher Herkunft.

(3.Konflikterhellung) Hintergrund des allgemeinen Unmuts waren die Erfordernisse rund um die Einsatzplanung. Insbesondere waren Dienstplanungen in Urlaubszeiten und an Feiertagen Anlass für Beschwerden und gegenseitigen Anschuldigungen. Die heftigsten Vorhaltungen reichten dabei bis zu Vorwürfen rassistischen Handelns und verbalen Diskriminierungen.

(4. Lösungsphase) Nachdem die Diversity-Dimensionen Herkunft und Religion sichtbar gemacht und thematisiert wurden, ließen sich die Fragen um eine Diensteinsatzplanung für alle zufriedenstellend regeln. Denn religiöse Feiertage, wie Karfreitag oder Ramadan waren nur für einen kleinen Teil der Mitarbeiterschaft und nicht für alle gleichermaßen bedeutsam:

"Nicht jede Türkin ist Muslimin. Nicht jede Christin feiert Weihnachten.“

Der Schlüssel für den Verlauf lag also in diesem Fallbeispiel u.a. in der Thematisierung und Berücksichtigung der Religionszugehörigkeit der jeweiligen Pflegekräfte und vor allem auch deren Bedeutung für sie. Dadurch ergab sich, dass mittels einer moderierten Gesamtteamsitzung die Dienstplangestaltung für alle gleichermaßen sehr zufriedenstellend gelöst werden konnte.

"Anders Denkende sind oft ganz anders als wir denken“ (Ernst Ferstel, Lehrer)

Wodurch führt dieses Praxisbeispiel in das Themenfeld "Mediation und Diversity“ ein?

Zunächst einmal verlaufen Auftragsanfrage und -annahme genau wie bei anderen Mediationen. Doch schon während der Konflikterhebungsphase und Analyse wurden wir im beschriebenen Fall einem ersten „Diversity Grundsatz“ gewahr:

"Unterschiede sind die Regel und nicht die Ausnahme.“

Nicht nur die kulturellen Herkünfte, auch das Sprach- und Ausdrucksvermögen sowie das Verhalten der beteiligten Pflegekräfte waren höchst verschieden (divers). Selbst ihre beruflichen Qualifikationen waren sehr unterschiedlich: so verfügten z.B. einige Teilzeitangestellte über einen höheren Fachabschluss als deren unmittelbare Vorgesetzte in Vollzeitanstellung. Auch die Vergütung für gleiche Arbeitsleistungen und Arbeitszeit waren aufgrund eines unterschiedlichen beruflichen Status nicht einheitlich. Diese Unterschiedlichkeiten stießen dann in diesem Team regelmäßig bei Feiertags- und Ferieneinsatzplanungen aneinander. Als gemeinsames Ziel wurde von allen Beteiligten eine für alle Pflegekräfte stimmige und gerechte Dienstplanung“ formuliert. In der erfolgten Bearbeitung (in der 3. Mediationsphase), wurde dem Mediatorenteam ein zweiter Diversity Leitsatz deutlich vor Augen geführt:

"Man kann Ungleichheiten nicht durch Umverteilen ausgleichen.“

Es zeigte sich bereits in den ersten Gesprächen, dass schon bei der Frage, welche Kriterien beim Erstellen eines allgemeinen Dienstplanes zugrunde gelegt werden sollten, die Mitarbeiterinnen von ganz unterschiedlichen Vorstellungen ausgingen. Ist es ausreichend einen Dienstplan allein nach vertraglichen Vereinbarungen ausschließlich am Individuum zu orientieren oder sollten auch familiäre, kulturelle und soziale Besonderheiten mit berücksichtigt werden? Auch entlang der Bedeutung, was unter "gerecht“ zu verstehen sei, wurde in der Konflikterhellungsphase munter gerungen und gestritten!

Diversity Kompetenzen

In der Phase der gemeinsamen Konflikterhellung kamen spezifische Diversity Kompetenzen zum Tragen, welche die Vielfalt von Überzeugungen, Meinungen und Grundverständnissen der Ratsuchenden offenlegten und sichtbar werden ließen. Die Aufgabe bestand darin, die jeweiligen individuellen Besonderheiten im Bemühen gegenseitigen Verstehens wertschätzend darzustellen und diese gleichberechtigt anzuerkennen.

Dies erforderte von uns als Mediatorenteam die Bereitschaft sich auf andere Lebensentwürfe und Lebenswelten wertfrei einzulassen und z.B. mit für uns fremd anmutenden oder irritierenden Sichtweisen und Einstellungen so umzugehen, dass daraus Ressourcen und Stärken sichtbar und nutzbar wurden. Und dies auf der Basis gegenseitiger Anerkennung und im Bestreben wertungsneutrale gleichberechtigte Handlungsstrategien daraus zu entwickeln.

Neben solchen empathischen Fähigkeiten war in diesem Falle interkulturelles Fachwissen, wie z.B. Kenntnisse über verschiedene Kulturstandards (monochrones versus polychrones Zeitempfinden, Universalismus versus Partikularismus) sehr hilfreich. Fachwissen und Fachbegriffe verhalfen uns, "Übersetzungshilfen“ für die unterschiedlich vorgetragenen Ansichten und Positionen zu geben, was dazu beitrug, sich nicht in gegenseitigen persönlichen Vorhaltungen zu verlieren, sondern den Fokus der Bearbeitung auf die dahinter liegenden "objektiven“ Differenzen zu lenken. Unter Einsatz spezifischer "Diversitytools“ (Aufstellungen, Wertebarometer) konnten dann stereotypen behaftete Themen so betrachtet werden, dass für alle Beteiligten "Neues“ (bis hin zu "Aha-Effekten") sichtbar wurden.

Die Äußerung einer der christlichen Religionsgemeinschaften zugehörigen Fachkraft, "sie würde geradezu gerne am 24.12. arbeiten und die zu Pflegenden am Heiligabend besuchen (...)“, war schließlich der entscheidende Wendepunkt in unserem Mediationsbeispiel, der eine Klärungs- und Lösungsphase hinsichtlich der Dienstplangestaltung einleitete.

Welche Diversity Kompetenzen verbessern nun konkret die Qualität von Mediationsarbeit?

Grundvoraussetzung ist eine „Haltung“, die Offenheit mit Interesse für den Anderen verbindet. Die Bereitschaft, sich auf fremde Lebenswelten und Lebensentwürfe einzulassen und daraus resultierende Verhaltensweisen nicht abzuwerten, muss mit der Fähigkeit zu einem "managing of diversity“ verbunden werden. Spezifische Diversitytools (wie Arbeiten mit Stereotypen und anderen Diversity Aspekten, bewusste Verwendung von Bildern, Fabeln und Metaphern, Spiegeln körperlicher Signale, Doppeln in der jeweiligen Muttersprache, u.a. ...) bedürfen u.E. einer weiteren Fortentwicklung und Spezifizierungen. Gezielte Tools sollten entwickelt bzw. zusammengestellt werden, die eine Bereitschaft befördern helfen, sich auf fremde Lebenswelten, Anschauungen und Erfahrungen einzulassen, gerade auch in einer Mediation und Eingang in Mediationsausbildungen finden. Stärker als bisher muss eine Sensibilität für scheinbar unbedeutende Bemerkungen sowie die Wahrnehmungsfähigkeiten für (kulturspezifische) Körpersignale und Körpersprachen, aber auch die Fähigkeit zur vielfältigen Interpretation von Lebenswelten und Biographien in diversen (sub-) kulturellen Kontexten systematisch geschult und vermittelt werden. Darüber hinaus bleibt die Bereitschaft und Befähigung zur Selbstreflexion eine wesentliche Bedingung. Denn wenn Mediator*innen lernen, die mental unterschiedlichen Programme (besser) zu verstehen, dann können sie ihre Beobachtungen und Wahrnehmungen passender deuten, wodurch die Vielfalt der Handlungsmöglichkeiten erhöht wird. Genau hier liegt die Perspektive:

Neue "Türöffner" zu entdecken, einen nicht bewertenden Dialog zu initiieren
und Menschen anders, vielfältiger zu begegnen.

Plädoyer

Diversity Aspekte wurden in der Mediationsarbeit bislang wenig und wenn, dann nur sehr vereinzelt berücksichtigt. Dabei finden wir sowohl bei den Mediator*innen selbst wie bei den Betroffenen das breite Spektrum an Diversity Merkmalen vor. Von jüngeren und älteren Frauen wie Männern unterschiedlicher Herkunft angefangen, über Hautfarbe, Gesundheit und Religion bis zu unterschiedlichen sexuellen Orientierungen findet sich alles in jeder Mediation wieder. Eine stärkere Hinwendung zu solchen Diversity Aspekten ist also gewinnbringend. So mag es beispielsweise für einen westdeutsch sozialisierten Mann der Nachkriegsgeneration womöglich ein bedeutender emanzipatorischer Schritt gewesen sein, seinen Kriegsdienst zu verweigern und aus der Kirche ausgetreten zu sein, während es für Andere aus anderen Regionen regelrecht lebenswichtig war, sich kirchlich zu engagieren und eine militärische Ausbildung zu durchlaufen. Dieses Beispiel soll nochmals die Diversität verdeutlichen, die allen Mediator*innen begegnet.

Schluss und Ausblick

Mediation in Diversity als ein Ausbildungsträger in Berlin hat bereits damit begonnen, die Vermittlung von Diversity Kompetenzen in die Mediationsausbildungen mit auf zu nehmen und spezifische Diversitytools zu erproben. So hat sich beispielsweise schon jetzt das Doppeln in der jeweiligen Muttersprache als sehr wirkungsvoll erwiesen.
Von besonderem Interesse werden auch zukünftig die Fragen hinsichtlich eines Umgangs mit (gesellschaftlichen) Benachteiligungen bleiben und dabei insbesondere, wie sich ein gerechter Ausgleich auch bei unterschiedlichen Ausgangsbedingungen (Status, soziale Herkunft) im Sinne von größerer Chancengleichheit herstellen lässt.

Autor: Steffen Kanis, Berlin 2014